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Forschung ja, Startups nein: Die Startup-Allergie der deutschen Konzerne

Untersuchung von Bits & Pretzels und Speedinvest zeigt: Deutschlands Konzerne setzen stark auf interne Forschung – und bleiben bei KI und Startup-Zusammenarbeit zurück

28. Juli 2025 – Deutsche Unternehmen investieren weiterhin stark in interne Forschung und Entwicklung (F&E) – allein im Jahr 2023 beliefen sich die Ausgaben auf über 90 Milliarden Euro. Doch über 85 % der Innovationsausgaben verbleiben in internen Strukturen und fließen nur selten in Kooperationen mit Startups, Corporate Venturing oder andere externe Innovationsansätze. Dieser Fokus auf interne Entwicklung zeigt sich auch bei Deutschlands größten F&E-Investoren: Volkswagen, Mercedes-Benz und Bosch investieren nahezu 90 % ihrer Innovationsbudgets in unternehmensinterne Projekte. In den USA verfolgen die größten F&E-Investoren – Alphabet, Amazon und Meta – eine andere Strategie: Sie setzen rund 30 % ihres Innovationsbudgets für externe Maßnahmen wie Corporate Venturing oder Tech-M&A ein. Diese strategische Differenz wird zusätzlich durch eine deutlich aktivere M&A-Kultur in den USA untermauert: Zwischen 2018 und 2023 betrug das durchschnittliche jährliche M&A-Volumen in den Vereinigten Staaten 5,3 % des BIP, was etwa 1,15 Billionen Euro pro Jahr entspricht. In Deutschland lag der entsprechende Wert bei lediglich 2,9 % des BIP bzw. 110 Milliarden Euro jährlich.

Auch bei der F&E-Intensität zeigt sich ein deutlicher Unterschied: Während US-Unternehmen im Schnitt 7,7 % ihres Umsatzes in F&E investieren, liegt der Anteil bei deutschen Unternehmen bei nur 5,5 % – mit einem klaren Schwerpunkt auf interner Entwicklung statt auf dem Zugang zu externen Innovationsquellen. Zusammengenommen tragen diese Faktoren zu einem messbar stärkeren Wachstum bei jenen Unternehmen bei, die aktiv mit Startups und neuen Technologien zusammenarbeiten.

Dies ist eines der zentralen Ergebnisse einer neuen Studie von Bits & Pretzels, dem führenden Festival für europäische Gründer:innen, Investor:innen und Entscheider:innen – und Speedinvest, einem paneuropäischen Frühphasen-Venture-Capital-Fonds. Der Bericht analysiert auf Grundlage zahlreicher Gespräche mit führenden europäischen Unternehmen, ergänzender Studien und Experteneinschätzungen, u.a. von Thomas Jarzombek und Verena Pausder, wie Deutschlands Konzerne, einschließlich aller DAX40-Unternehmen, externe Innovationsmodelle nutzen – und zeigt strukturelle Defizite in der Zusammenarbeit mit Startups auf, mit klaren Auswirkungen auf Wachstum, Profitabilität und Bewertung.

Hohe F&E-Intensität korreliert mit Marktperformance

Die Untersuchung zeigt einen statistischen Zusammenhang zwischen F&E-Intensität und Unternehmensbewertung: Die fünf DAX40-Unternehmen mit den höchsten Ausgaben für F&E – gemessen am Umsatz – handeln zu einem durchschnittlichen Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) von 4,05 und einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 25,7 – deutlich über dem DAX40-Durchschnitt von 1,89 (KUV) bzw. 21,47 (KGV). Im Gegensatz dazu weisen die fünf DAX40-Unternehmen mit den geringsten F&E-Investitionen deutlich geringeres Marktvertrauen auf: Ihr durchschnittliches KUV liegt bei 1,44, das KGV bei 14,9.

Darüber hinaus deuten externe Studien darauf hin, dass Unternehmen mit überdurchschnittlicher F&E-Intensität auch bei der Profitabilität besser abschneiden: Ihre durchschnittlichen EBIT-Margen liegen bei 15,4 %, gegenüber 10,0 % bei Unternehmen mit unterdurchschnittlichen F&E-Investitionen.

KI ist überall – nur nicht im großen Maßstab

Künstliche Intelligenz ist inzwischen ein Top-Thema in deutschen Konzernen. Zwischen 2023 und 2024 hat sich die Zahl der KI-Erwähnungen in den Geschäftsberichten der DAX40-Unternehmen versiebenfacht – von 205 auf 1440. Heute beziehen sich gar 58 % der Unternehmen explizit auf Generative KI. Doch nur 4 % setzen KI-Technologien tatsächlich im gesamten Unternehmen ein. Ebenfalls bemerkenswert: Die fünf DAX40-Unternehmen mit der höchsten KI-Intensität in ihren Geschäftsberichten handeln im Schnitt zu einem KGV von 26,7 und einem KUV von 3,77 – im Gegensatz zu 15,2 (KGV) und 1,01 (KUV) bei den fünf Unternehmen mit der geringsten KI-Intensität. Gleichzeitig betonen die Autoren der Untersuchung: Nicht Sichtbarkeit, sondern Umsetzung schafft echten Mehrwert.

Externe Innovation steigert Unternehmenswert

Während ein Großteil der Innovationsaktivitäten intern bleibt, gewinnen externe Modelle wie Corporate Venture Capital (CVC) und Venture Clienting an Bedeutung. Die Zahl aktiver Corporate-Investoren ist global von rund 500 im Jahr 2013 auf 2.344 im Jahr 2024 gestiegen. CVC ist heute nicht nur weit verbreitet, sondern zeigt auch messbare Effekte: Jedes Jahr aktiver CVC-Tätigkeit korreliert bei DAX40-Konzernen mit einem Anstieg des KUVs um +0,16 (Baseline: 1,89) – das entspricht einem Multiple-Aufschlag von rund 8,5%. Im Jahr 2024 betrafen 29% aller CVC-Investitionen Startups im KI-Bereich – ein klarer Hinweis auf die wachsende strategische Bedeutung von Venturing für Technologietransfer.

Parallel dazu etabliert sich Venture Clienting als bevorzugtes, risikoarmes Modell für die Zusammenarbeit mit Startups. Es ermöglicht Unternehmen, neue Technologien zu testen und zu skalieren – ohne direkt zu investieren. Laut der Untersuchung bewerten 92% der befragten europäischen Konzerne dieses Modell als besonders effektiv, insbesondere im Kontext von KI und Industrial Tech; auch CVC wird von über 80% der Unternehmen effektiv beurteilt. Weniger effektiv werden hingegen Venture Building und Accelerator-Programme eingeschätzt – viele Konzerne berichten, entsprechende Initiativen aufgrund mangelnder Geschäftsergebnisse wieder eingestellt zu haben. Beim Zugang zu externer Innovation gelten VC- und Partner-Netzwerke als effektivster Kanal (88% Zufriedenheit), gefolgt von interner Startup-Scouting-Aktivität (78%). Inbound Kontaktaufnahme durch Startups schneidet am schlechtesten ab (28%).

Struktureller Wandel nötig, um Europas Innovationspotenzial zu heben

Das Fazit der Untersuchung: Trotz strategischem Bewusstsein schöpfen deutsche Unternehmen das Potenzial externer Innovation bei weitem nicht aus. In einem globalen Markt, der zunehmend von KI-Scale-ups und offener Innovation geprägt ist, reicht interne F&E allein nicht mehr aus. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss interne Fähigkeiten systematisch mit externem Zugang zu Innovationen mittels geeigneter Corporate Venturing Modelle ergänzen. Die Vorteile externer Innovationsmodelle spiegeln sich in den Finanzergebnissen wider.

Die vollständige Untersuchung, gemeinsam erstellt von Bits & Pretzels und Speedinvest, ist auf der Website von Bits & Pretzels verfügbar [Hyperlink folgt] und wird im Rahmen des Bits & Pretzels CIO Summit präsentiert – vom 29. September bis 1. Oktober auf dem Bits & Pretzels Founders Festival in München.

Expertenstimmen

Dr. Christian Rammer, Leiter der Forschungsgruppe „Ökonomie des Innovations- und Unternehmensdynamik“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim:

„Unternehmen mit überdurchschnittlichen F&E-Investitionen setzen ein klares Signal: Sie fokussieren sich auf die Entwicklung und Vermarktung neuer Lösungen. Wenn diese im Markt erfolgreich sind, eröffnen sich große Wachstumschancen und hohe Profitabilität – zwei Faktoren, die für die Bewertung am Kapitalmarkt entscheidend sind.“

Verena Pausder, Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Startups:

“Startups sind nicht Beiwerk der KI-Transformation – sie sind der Motor. Nicht nur als Technologielieferanten, sondern als Taktgeber. Die relevantesten KI-Anwendungen in Industrie, Gesundheit oder Software kommen nicht aus Konzernen, sondern aus kleinen, radikal fokussierten Teams.”

Thomas Jarzombek, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und für Staatsmodernisierung, zuvor Beauftragter der Bundesregierung für die Digitale Wirtschaft und Start-ups:

“Bisher haben wir zu viel Energie in Regulierung gesteckt und zu wenig in Entwicklung. Natürlich ist Regulierung wichtig, aber wir sind Weltmeister im Regulieren, nicht im Umsetzen. Die Entwicklung von KI ist global. Andere Länder warten nicht, bis unser Regulierungsrahmen fertig ist.

Ebenfalls wichtig: Wir müssen besser werden bei der Talentförderung, zum Beispiel mit dem „1000-Köpfe-Programm“. Auch die Datennutzung muss vorangebracht werden, etwa bei Mobilitäts-, Forschungs- oder Gesundheitsdaten. Und wir brauchen eine moderne Recheninfrastruktur, zum Beispiel leistungsfähige Rechenzentren oder eine „AI-Gigafactory“.

Der AI Act muss jetzt zügig und praxisnah umgesetzt werden. Aber Regulierung allein reicht nicht aus. Was wir brauchen, sind Investitionen in Daten, Talente und Infrastruktur.“

Über Bits & Pretzels

Bits & Pretzels ist ein jährliches Festival mit 7.500 Teilnehmenden, das sich an Startup-Gründer*innen, Investor*innen und Entscheidungsträger*innen richtet. Gegründet von Andy Bruckschloegl, Bernd Storm van’s Gravesande und Felix Haas, findet es während des Oktoberfestes vom 29. September bis 1. Oktober in München statt. Ziel des Events ist es, europäische Technologie-Startups ins Rampenlicht zu rücken und Gründer*innen das nötige Wissen und Netzwerk zu bieten. Seit 2014 hat das Festival internationale Aufmerksamkeit erlangt und hochkarätige Redner*innen wie Sir Richard Branson, Tarana Burke, Jessica Alba, Nico Rosberg, Barack Obama und Arnold Schwarzenegger begrüßt. Weitere Informationen finden Sie auf der offiziellen Website www.bitsandpretzels.com.

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Assana Jensen

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bits-pretzels@piabo.net