3 Jahre DiGAs: Eine Blaupause für die Do´s und Dont´s der Medizinkommunikation
Vor drei Jahren galten digitale Pillen oder digitale Gesundheitsanwendungen (kurz DiGAs) als das nächste große Ding in der Medizin. Nun ist die Ernüchterung groß, weil sie weniger Ärzte verschreiben als erhofft und die Preise unter Druck sind. Doch für einen Abgesang ist es zu früh. Eher lässt sich an dem Beispiel zeigen, was bei Produktlaunches im Gesundheitsmarkt zu beachten ist.
Zwei Fehlannahmen möchte ich gleich zu Beginn beiseite räumen: Erstens stehen DiGAs gar nicht so schlecht da wie oft behauptet. Und zweitens geht der Vorwurf an die Ärzt:innen, sie seien schlicht nicht digital affin, fehl. Beginnen wir mit Punkt eins: Gemessen an anderen Innovationen im Gesundheitswesen setzen sich DiGAs keineswegs langsam durch. Viele medizinischen Entwicklungen, vielleicht sogar die meisten, brauchen lange, bis sie in der ärztlichen Praxis ankommen. Eine oft zitierte Zahl nennt 17 Jahre von der wissenschaftlichen Erkenntnis bis zum Nutzen für Patient:innen. Auch wenn diese Marke extrem umstritten ist, mindestens vier bis sechs Jahre sind es anderen Studien zufolge meist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel hat die erste DiGA im Oktober 2020 zugelassen, also vor knapp drei Jahren. Und 2022 verschrieben doppelt so viele Ärzt:innen DiGAs wie 2020. Im ersten Halbjahr 2023 liegt die Zahl mit 71.330 eingelösten Freischaltcodes höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, so eine Analyse des Handelsblatts.
Damit sind wir bei Punkt zwei. Die eigentliche Hürde ist weniger die mangelnde digitale Begeisterung als die knapp bemessene Zeit der Mediziner:innen. Hausärzt:innen etwa haben volle Praxen und siebeneinhalb Minuten pro Patient:in. Sie müssen also sehr genau überlegen, mit welchen neuen Therapieformen sie sich beschäftigen. DiGAs sind dabei nur eine unter vielen – mit der sie zudem noch keinerlei Erfahrung haben. Weder haben sie in der Ausbildung gelernt, den Ansatz einzuschätzen, noch im Berufsalltag hunderte Patient:innen mit ihm behandelt. Sie müssen sich also zwischen zwei Konsultationen oder nach Feierabend selbständig alle Informationen rund um Studienbelege, ihr Einsatzgebiet sowie den Verschreibungs- und Abrechnungsprozess zusammensuchen – und sich am besten noch mit den Datenschutzregeln vertraut machen. Dann müssen sie all das ihren Patient:innen erklären, die bisher eine gewöhnliche Pille gewöhnt sind. Seit dem 1. Januar 2023 wird diese Aufklärung bei den meisten DiGAs nicht einmal mehr extra vergütet.
In der anfänglichen Euphorie haben viele DiGA-Hersteller diese Rahmenbedingung zu wenig berücksichtigt. Sie kamen oft aus einem stark digitalen Ökosystem und setzten naheliegenderweise auf digitale Kanäle, um ihr Produkt zu vermarkten - von Performance-Marketing bis Social Media-Kampagnen. Rein digital ist der Streuverlust allerdings sehr hoch. Auf LinkedIn etwa sind nur ganz wenige Ärzt:inne, auf Facebook nur als Privatperson – und lassen sich daher kaum herausfiltern.
Viele hatten zudem die Hoffnung, dass Patient:innen die Apps auf Rezept in die Praxen tragen - einfach dadurch, dass genügend Bedürftige dort vorstellig würden. Doch so einfach ist es nicht, schon aus statistischen Gründen. Ein begeisterter Patient:innen mag seine Arzt:innen von einer DiGA überzeugen, nutzt sie aber in der Regel aber nur einmal. Ein:e überzeugte:r Arzt/ Ärztin aber verschreibt im Idealfall hundert jedes Jahr.
Eine gute Kommunikation muss Mediziner:innen also direkt ansprechen. Das ist durchaus komplex, weil Ärzt:innen eine zentrale Stellung im Gesundheitssystem haben und damit eine sehr gefragte Zielgruppe sind. Aus dem zuvor Gesagten ergeben sich jedoch ein paar Grundregeln: Die Botschaft muss knapp sein ohne viel Ausschmückungen, und sie muss den konkreten Nutzen für die Ärzt:innen und für ihre Patient:innen klar auf den Punkt bringen. Um das zu erreichen, sind drei Kanäle entscheidend: Zum einen müssen Anbieter stärker auf den klassischen Pharmavertrieb setzen, den sie in der Vergangenheit leider oft zugunsten digitaler Performance-Kampagnen vernachlässigt haben. Dazu gehören Direct Mailings, Cold Calls und Praxisbesuche durch Sales-Mitarbeitende. So lassen sich mögliche Interessent:innen immer noch am besten ansprechen.
Der zweite Kanal: Kommunikation in für die Branche wichtigen Fachmedien. Das können übergreifende Publikationen sein wie die Ärztezeitung, um über DiGAs allgemein zu berichten und Meldungen zu relevanten Neuzulassungen zu erzielen. Mindestens ebenso wichtig aber sind die Medien der Fachgruppen, auf die eine DiGA abzielt – seien es Hausärzt:innen, Urolog:innen oder Dermatolog:innen. Hier kommt es darauf an, den Nutzen möglichst nah am Praxisalltag zu schildern. So lassen sich genau die Mehrwerte, die neue Produkte für Ärzt:innen bereithalten, in den Vordergrund rücken: Etwa ein langfristiges Patient Monitoring, die Motivation der Patient:innen, sich selbstbestimmt mit der Erkrankung auseinander zu setzen, die sinkende Betreuungszeit bei chronischen Patient:innen. Oder man zeigt auf, wie DiGAs helfen, dem Anspruch der Medizin gerecht zu werden, Ursachen zu beheben statt Symptome zu bekämpfen. Denn genau darauf zielen viele der Angebote ab, vom Ernährungsprogramm bei Diabetes bis zur Bekämpfung der erektilen Dysfunktion.
Ebenfalls wichtig: Studienergebnisse nennen wann immer möglich. So lassen sich Vorbehalte abbauen, die Ärzt:innen gerade gegenüber Angeboten in der Erprobungsphase, aber auch nach der endgültigen Zulassung hegen. Sie sind misstrauisch, ob dem Preis ein relevanter Versorgungseffekt gegenübersteht. Oder sie haben Bedenken hinsichtlich der Compliance und Adhärenz.
Ist die Patient:innen-Kommunikation damit obsolet? Ich denke nicht, aber die Gründe dafür sind andere als einige denken. Ihr Ziel kann nicht die Lead-Generierung sein, sondern das Bestreben, DiGAs in der breiten Öffentlichkeit als Therapie bekannt und akzeptiert zu machen. Schließlich sind digitale Pillen für die meisten Normalverbraucher nach wie vor unbekanntes Terrain. Entsprechend aufwändig ist die Erklärung für den Arzt oder die Ärztin, um Patient:innen zu überzeugen. Je mehr Vorwissen existiert, desto leichter fällt es. Und vergessen wir nicht: Auch Ärzt:innen lesen die Brigitte, den Stern oder den Focus.
Die Hebel für die Patientenkommunikation sind nicht grundsätzlich anders als in der Arztkommunikation. Nur muss sie nun aus der Sicht des Patienten / der Patientin gedacht werden. Geeignet sind Studien zum Wirkungsnachweis der Therapie, Erfahrungsberichte von Patient:innen die zeigen, wie eine DiGA ihren Lebensalltag positiv beeinflusst hat, oder Tipps zu konkreten gesundheitlichen Problemen, die sich per App therapieren lassen.
Das Fazit nach drei Jahren DiGA ist daher eines, das auch für viele andere Bereiche der Gesundheitskommunikation gilt: Es gibt immer mindestens zwei Zielgruppen. Und nur wer sie elegant zusammenbringt, kann eine nachhaltige Wirkung am Markt erzielen. Um erfolgreich im Gesundheitsbereich zu kommunizieren, reicht es nicht, die Bedürfnisse der Patient:innen zu bedienen. Man muss auch die der Gatekeeper kennen.