Wie Digital Health unsere Zukunft verbessern wird
Stephanie Kaiser ist nicht nur Co-Founder und Geschäftsführerin der digitalen Gesundheitsplattform Heartbeat Labs, sondern auch Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung, welcher die deutsche Regierung in Fragen rund um die Digitalisierung berät. Mit Tilo Bonow spricht sie darüber, auf welchem Stand sich die Digitalisierung des Gesundheitswesens befindet, welche Märkte in diesem Bereich führend sind und welche Schwierigkeiten Innovatoren haben, wenn es um die Modernisierung von Prozessen in Krankenhäusern, Arztpraxen oder im privaten Gesundheitssektor geht.
Dies ist ein gekürzter Auszug aus unserem englischen Podcast Business Class. Die vollständige Episode mit Stephanie Kaiser finden Sie bei Soundcloud, Deezer, Apple Podcasts & Co.
Tilo Bonow: Willkommen, Stephanie! Vielleicht kannst du uns zunächst einen kleinen Einblick geben, wer du bist. Du hast bisher eine sehr beeindruckende Karriere hinter dir – warum hast Du dich schlussendlich für eine Tätigkeit im Gesundheitssektor entschieden?
Stephanie Kaiser: Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich entschieden, etwas über Produktmanagement zu lernen, und ich bin jetzt schon seit 14 Jahren in diesem Geschäft tätig. Ich habe bei Jamba, einer Klingeltonfirma, angefangen und dann eine Lernplattform für Kinder bei Nickelodeon aufgebaut. Anschließend baute ich eine Spielefirma namens Wooga mit auf. Ich war eine ganze Weile in der Unterhaltungsbranche tätig, machte viele Fehler und lernte eine Menge daraus. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass mehr intrinsische Motivation im Job hilfreich wäre. Und die findet man natürlich sehr einfach im Gesundheitswesen. Zudem kann man seine Fähigkeiten als Produktmanager sehr vielseitig einsetzen – das geht in der Entertainmentbranche genauso wie im Gesundheitswesen. Deshalb habe ich an einigen kleineren Projekten teilgenommen, bei denen ich wirklich viel lernen konnte. Ich beschäftigte mich mit dem Bereich Diabetes und dann mit der Gesundheit der Frau. Dann, nachdem ich mit meiner vier Monate alten Tochter um die Welt gereist war, habe ich Heartbeat Labs gegründet.
Tilo Bonow: Dein Vorwissen aus Produktmanagement und Unterhaltungssektor hilft dir bestimmt dabei Produkte zu entwickeln, die letztendlich Millionen von Menschen erreichen und für deren Leben zugänglich sein müssen. Wie steht es denn hierzulande um die digitale Gesundheit? Aufgrund der zahlreichen verschiedenen Definitionen von Health Tech - in einigen Fällen auch MedTech genannt – wie würdest du beschreiben, wo wir jetzt stehen?
Stephanie Kaiser: Ich würde es digitale Gesundheit nennen, was dasselbe ist wie Gesundheitstechnologie. Das Wort impliziert den Einsatz von Technologien, die das Gesundheitswesen voranbringen, egal ob Hardware oder Software. Und ich denke, wir alle wissen, dass wir in Deutschland derzeit weit zurückliegen. Aber wir haben das inzwischen verstanden und können dies nun weiter vorantreiben. Die Grundvoraussetzungen dafür sind bereits vorhanden – weltweit! Jeder trägt ein Handy in der Tasche. Ich trage meinen Oura-Ring, der mir jeden Tag sagt, wie ich geschlafen habe. Viele Menschen haben auch eine Google-Fitbit oder eine Apple Watch. Wir verfolgen also individuelle Daten und können individuell mit dem Endbenutzer kommunizieren. Jetzt müssen wir zu einem Punkt kommen, an dem wir nutzerzentrierte Produkte haben und diese Daten auch in einer für den Einzelnen verwertbaren Art und Weise nutzen können, sowie in Form von großen Daten zur Unterstützung der Diagnose.
Tilo Bonow: Was sind die Vorteile dieser Art der Datenerhebung? Vorteile, die uns vielleicht noch gar nicht bewusst sind, weil wir uns auf andere Argumente konzentrieren?
Stephanie Kaiser: Das ist eine heikle Frage. Nun, ich denke, gerade bei Daten ist es immer ein Henne-und-Ei-Problem. Zuerst muss man die Daten sammeln und eine Menge Analysen durchführen, um zu sehen, ob man tatsächlich aus ihnen lernen kann. Ich kann nicht wirklich vorhersagen, was auf uns zukommt, aber ich würde sagen, dass Daten uns helfen werden, in Zukunft bessere und fundiertere Entscheidungen über den einzelnen Patienten zu treffen. Es gibt bereits viele wichtige Fälle und Beispiele. Und es wird noch mehr Fälle geben, von denen wir noch nichts wissen.
Tilo Bonow: Kannst du uns einige Beispiele dafür nennen, wo Technologie wirklich nützlich für die Medizin und unsere Gesundheit sein kann?
Stephanie Kaiser: Ja, natürlich. Es gibt einige Bereiche, die von vornherein banal klingen, wie die Telemedizin. Aber letztendlich ist es gar nicht so banal für Menschen, die sich in ländlichen Gegenden aufhalten, die endlich aus der Ferne mit einem Arzt sprechen können und nicht stundenlang fahren müssen, um einen Spezialisten aufzusuchen. Und auch für Eltern ist es attraktiv, sonntags die Notaufnahme zu meiden und direkt mit einem Arzt über Kinder zu sprechen, die am Sonntagabend krank werden. Ich freue mich auf elektronische Gesundheitsakten und auch darauf, endlich in der Lage zu sein, Daten auf interoperable und strukturierte Weise zusammenzuführen, sodass wir aus diesen Daten über den einzelnen Patienten lernen können. Auch der tägliche Umgang mit chronischen Krankheiten kann durch einen digitalen Begleiter unterstützt werden, damit sie ihre Krankheit besser bewältigen können. Es gibt so viel Potenzial, das fasziniert mich sehr!
Tilo Bonow: Was sind die zentralen Aufgaben von Heartbeat Labs? Kannst du uns einen kleinen Einblick geben?
Stephanie Kaiser: Bei Heartbeat Labs wollen wir die Gesundheitsversorgung mit benutzerzentrierten digitalen Diensten verbessern. Heartbeat Labs ist eine Plattform, die drei Säulen hat. Auf der einen Seite investieren wir in digitale Gesundheitsunternehmen. Auf der anderen Seite bauen wir sie auch eigenständig auf. Und wir wollen Partnerschaften mit großen Pharmaunternehmen eingehen, um gemeinsam im digitalen Sektor zu arbeiten, denn darin sind wir gut. Außerdem arbeiten wir mit Heal Capital zusammen, das ist ein neuer Fonds, der von den privaten Krankenversicherungen in Deutschland getragen wird und der ausschließlich in die digitale Gesundheit investiert.
Tilo Bonow: Spannend, wie setzt sich denn euer Portfolio zusammen? Welche Unternehmen habt ihr bereits gegründet und welche unterstützt ihr aktuell? Was ist eure bisher größte Erfolgsgeschichte?
Stephanie Kaiser: Wir haben 2017 mit der Telemedizin begonnen, als sie noch nicht erlaubt war. Unser erstes Projekt war Kinderheldin, ein digitaler Dienst für Schwangere und junge Eltern, der über eine digitale Maßnahme – per Videochat oder Chat – eine Verbindung zu einer Hebamme herstellt. Im Jahr 2017 war es den Ärzten in Deutschland noch nicht erlaubt, den ersten Patientenkontakt virtuell stattfinden zu lassen. Aber Hebammen durften das! Deshalb wollten wir die Reaktion der Kunden auf diese Art von Service untersuchen. Später gründeten wir Fernarzt, einen Dienst, bei dem man verschriebene Medikamente online bestellen konnte. Zusätzlich starteten wir eine Praxiskette, weil wir wirklich mit dem Patienten über das Gesundheitssystem lernen wollten. Ich denke, für jedes einzelne Unternehmen könnte ich jetzt über individuelle Erfolge sprechen. Um ein Beispiel zu nennen: Kinderheldin hat es geschafft, dass viele gesetzliche Krankenkassen in Deutschland seine Leistungen erstatten! Das war ein großer Schritt, denn die Krankenkassen waren auf digitale Lösungen nicht vorbereitet und wussten anfangs nicht, wie sie diese in die Erstattungssysteme einbauen sollten.
Tilo Bonow: Wie siehst du den digitalen Gesundheitsmarkt in Deutschland im Allgemeinen und im Vergleich zu anderen Märkten?
Stephanie Kaiser: Nur um ein Beispiel zu nennen, denn ich arbeite gerne mit Zahlen: Ich glaube, das E-Rezept ist in Schweden seit 1983 erlaubt. Damals war ich ein Jahr alt. In Deutschland werden wir es im Jahr 2020 haben. Wir alle wissen, dass wir in Deutschland im Rückstand sind. Aber ich glaube, dass wir im Moment die richtigen Schritte unternehmen. Ich nenne unser Gesundheitsministerium gerne einen Ausführungsapparat. Das E-Rezept ist ein gutes Beispiel, auch die elektronische Gesundheitsakte, die alle Krankenkassen ihren Versicherten ab 2021 zur Verfügung stellen müssen. Es ist ein guter Zeitpunkt, um die Regulierungen zu ändern, sodass Ärzte endlich Telemedizin machen können. Und Geld dafür bekommen – auch das ist wichtig.
Tilo Bonow: Du bist Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung. Welche konkreten nächsten Schritte müssen unternommen werden, um unser Gesundheitssystem zu verbessern?
Stephanie Kaiser: Im Digitalrat der Bundesregierung konzentrieren wir uns nicht allein auf die Gesundheit. Es geht mehr um die Digitalisierung im Allgemeinen. Derzeit liegt unser Schwerpunkt auf der Nutzung von Daten. Ich glaube, wir müssen wirklich einen guten Weg in Europa finden, um Daten von und für mehr Parteien nutzbar zu machen – natürlich auf sichere Weise. Das steht außer Frage! Und ich denke, derzeit versuchen wir eine gute Antwort im Hinblick auf die Systeme in China und den USA zu finden, die wir beide nicht haben wollen.
Tilo Bonow: Klar, die Nutzung und Verwendung von Daten ist oft auch mit Angst verbunden. Was wird mit unseren Daten – und insbesondere mit unseren Gesundheitsdaten – eigentlich gemacht?
Stephanie Kaiser: Hier müssen wir differenzieren: Über welche Art von Daten sprechen wir eigentlich? Handelt es sich zum Beispiel um persönliche Patientendaten, anonymisierte Daten oder um die Nutzungsdaten eines bestimmten digitalen Dienstes? Natürlich müssen persönliche Daten so sicher wie möglich sein. Auf der anderen Seite gibt es anonymisierte Daten, die interessant sind, sobald wir eine Menge von Daten erhalten. Diese hängen dann aber nicht mehr mit dem einzelnen Patienten zusammen, aber wir werten wir sie aus, um Muster zu verstehen. Auf der anderen Seite gibt es Nutzungsdaten von digitalen Diensten, z.B. wie viele Menschen heute auf Whatsapp gewesen sind. Das ist für die Entwickler dieser digitalen Dienste wichtig, um die Art und Weise zu verstehen, wie der Dienst genutzt wird, um ihn letztendlich zu verbessern und nutzerzentriert zu gestalten. Der zweite Punkt ist, dass wir öfter über Anwendungsfälle sprechen müssen. Denn in dem Moment, in dem wir über Anwendungsfälle sprechen, wird alles greifbarer. Wenn der Patient versteht, dass es einen Vorteil für ihn gibt, dann wird er offener für den Datenaustausch sein.
Tilo Bonow: Derzeit beobachten wir einen Anstieg an Telemedizin-Firmen. Wir sind uns aber alle einig, dass die Telemedizin die Arztbesuche nicht ersetzen wird. Wie weit werden wir gehen?
Stephanie Kaiser: Wie gesagt, es ist die geschickte Verbindung und Kombination zwischen der Digitalisierung und dem Menschen. Eine Maschine wird einen Patienten nie so sehr motivieren können wie ein Mensch einen anderen Menschen, um zum Beispiel die Anweisungen eines Arztes tatsächlich zu befolgen und sich an seine Vorgaben zu halten. Darin liegt eine menschliche Kraft. Keine Maschine wird sie jemals ersetzen. Allerdings sollte die Verwendung von Daten zum Beispiel die Diagnose bestätigen und nicht die menschliche Gesundheitsfürsorge ersetzen.
Tilo Bonow: Es gibt in Zukunft voraussichtlich also viele Veränderungen für Krankenschwestern und Ärzte. Sie müssen im Umgang mit der Technologie wahrscheinlich geschult werden, nicht wahr? Ich würde zumindest annehmen, dass wir noch nicht so weit sind. Glaubst du, dass die Ärzte heute schon wissen, welche verschiedenen Systeme digitaler Gesundheitslösungen es gibt und wie sie diese in ihrer täglichen Arbeit umsetzen können?
Stephanie Kaiser: Ich hoffe, dass sie nicht so viele Fähigkeiten benötigen, wie du gerade anmerkst. Unser Ziel ist es, nutzerzentrierte und einfach zu bedienende Produkte für Ärzte wie auch für jeden anderen Interessensvertreter im System zu bauen. Es ist nicht nur auf den Patienten ausgelegt. Und ich glaube auch, dass in Zukunft viele Ärzte neugierig darauf sein werden, was es da draußen gibt. Aber weißt du, wer noch neugieriger auf diese Dinge ist? Die Patienten, die krank sind. Sie googeln bereits alles und suchen nach Lösungen. Sie werden dies auch weiterhin und noch öfter tun, und sie werden die Lösungen finden, die ihnen helfen. Das ist meine Vorhersage. Wir können gerne in fünf Jahren nochmal sprechen, aber ich bin ziemlich sicher, dass die Patienten in Zukunft zu ihrem Arzt gehen und sagen werden: "Hey, ich habe etwas gefunden. Können Sie das verschreiben?”
Tilo Bonow: Kannst du uns einen kleinen Ausblick geben, was bis 2030 möglich sein wird? Welche Innovationen werden die wichtigsten treibenden Kräfte im Bereich der Gesundheitstechnologie sein?
Stephanie Kaiser: Nun, ich denke, im Jahr 2030 werde ich nicht mehr zum Arzt gehen, wenn ich zum Beispiel eine Augenentzündung habe. Ich werde einen Videoanruf machen. Die Symptome sind eindeutig. Und vielleicht bringt mir jemand auf einem Roller in Berlin die Antibiotika, die ich brauche. Außerdem hoffe ich, dass wir über vernetzte, strukturierte, interoperable Daten auf sicheren Plattformen verfügen werden, auf die auch die Ärzte zugreifen können, damit sie bessere und fundierte Entscheidungen für einzelne Patienten treffen. Vielleicht ist das nur meine Begeisterung als Produktmanagerin, aber ich denke, das wäre sehr hilfreich. Ärzte werden mehr Zeit für die Behandlung ihrer Patienten haben, anstatt sich zum Beispiel mit der Dokumentation zu beschäftigen. Das sind Aufgaben, die Maschinen erledigen können. Am Ende ist doch das, was der Patient wirklich braucht, die menschliche Zuwendung und Behandlung durch den Arzt. Und die braucht mehr Zeit, als sie aktuell bekommt.
Tilo Bonow: Stephanie, vielen Dank! Es war sehr aufschlussreich. Ich wünsche dir alles Gute und ich denke, wir werden in Zukunft noch viel von Heartbeat Labs hören.
Stephanie Kaiser: Vielen Dank, Tilo!