Potenziale des Carsharings und der Stand des autonomen Fahrens
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Im zweiten Teil unseres neusten Blogartikels gibt Professor Wolfgang Gruel, Experte für intelligente Mobilitätskonzepte an der Hochschule Esslingen, aufschlussreiche Einblicke in die Potentiale von Carsharing und zeigt den aktuellen Stand des autonomen Fahrens auf.
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Carsharing erfreut sich in den Großstädten, in denen es ohnehin ein großes Mobilitätsangebot gibt, wachsender Beliebtheit. Welche Potenziale hat Carsharing und wie sieht es mit der Zukunft aus?
Carsharing hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren und die Zahl der Carsharing Nutzenden steigt seit Jahren. Carsharing verspricht viele Vorteile: Von der Kostenersparnis gegenüber einem eigenen Auto – man zahlt nur für die tatsächliche Nutzung – über Flexibilität und Umweltfreundlichkeit bis hin zu verringertem Platzbedarf für parkende Autos. Insbesondere wenn man sich anschaut, dass die meisten Fahrzeuge über 23 Stunden pro Tag herumstehen, also eher Stehzeuge sind, ist das theoretische Potenzial von Carsharing sowohl in der Stadt als auch auf dem Land riesig.
Dennoch fristet es immer noch eher ein Nischendasein: Der Anteil der mit Carsharing-Fahrzeugen zurückgelegten Wege ist sehr gering. Das hat mit unterschiedlichen Faktoren zu tun – vom nicht immer vorhandenen Angebot über mehr oder weniger rationale Ängste wie z.B. hinsichtlich Sicherheit oder Verfügbarkeit bis hin zu Veränderungsresistenz, über die wir ja schon gesprochen haben.
Gleichwohl halte ich es für nicht sehr wahrscheinlich, dass Carsharing unter den aktuellen oder aktuell diskutierten Bedingungen in absehbarer Zeit die Nische verlässt. Um die Potenziale des Carsharings zu realisieren und bei der Verbreitung schneller voranzukommen, schlägt der Bundesverband Carsharing u.a. vor, dass Carsharing und Carsharing-Infrastruktur flächendeckend ausgebaut wird, dass regulatorische Hindernisse beseitigt werden, dass Carsharing und öffentlicher Verkehr besser digital vernetzt werden und dass das autonome Fahren vorrangig in Form von Carsharing eingeführt wird. Hier sehe ich tatsächlich großes Potenzial, denn die Kombination von autonomem Fahren und Carsharing kann die Effizienz und Flexibilität von Mobilität ausbauen, indem sie Nutzern ermöglicht, das Auto genau dann zu nutzen, wenn sie es brauchen, ohne es besitzen zu müssen.
Wie ist der Stand beim autonomen Fahren in Deutschland? Bis auf kleine Pilotprojekte scheinen wir von großflächigen Lösungen noch weit entfernt zu sein. Bis wann können wir mit richtigen selbstfahrenden Fahrzeugen (Level 5) auf unseren Straßen rechnen und was sind aktuell die größten Hürden?
Die Diskussion um den Markteintritt von autonomem Fahren erheitert mich immer wieder. Spannenderweise wird in dieser Diskussion immer wieder davon ausgegangen, dass autonome Fahrzeuge eins zu eins unsere aktuellen Fahrzeuge ersetzen. Das wird vermutlich so nicht passieren, weil autonome Fahrzeuge vermutlich nicht so schnell alle Funktionen übernehmen werden, die ein herkömmliches Autos in Kombination mit einem Menschen besitzt. Dafür bieten sie in bestimmten Anwendungsfällen deutliche Vorteile und ermöglichen auch neue Nutzungen, an die man vorher noch nicht gedacht hat.
Auch werden autonome Fahrzeuge nicht ganz plötzlich alle anderen Fahrzeuge ersetzt haben. Für bestimmte Use-Cases zeigt sich aber schnell ein echter Mehrwert, so dass der Einsatz hier bald eine Selbstverständlichkeit sein dürfte – vom Rangieren auf Logistikhöfen über Shuttle-Services in bestimmten, gut kontrollierbaren Regionen.
Was den Zeitrahmen angeht, in dem wir autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen sehen können, sind die Prognosen nicht einheitlich. Eine Studie des Prognos-Instituts im Auftrag des ADAC rechnet etwa damit, dass ab 2030 Fahrzeuge mit Citypilot, also der Option, in der Stadt und auf der Autobahn selbstständig zu fahren, vermehrt verfügbar werden. Ein größeres Angebot von Fahrzeugen, die selbstständig auch auf Landstraßen von Tür zu Tür reisen können, wird der Studie zufolge erst nach 2040 bestehen.
Die größten Hürden im Bereich autonomes Fahren werden aktuell im Bereich der Technologie und der Wirtschaftlichkeit diskutiert. Technologisch sind zwar sehr große Fortschritte gemacht worden, doch gibt es nach wie vor einige Herausforderungen, mit denen auch Unternehmen wie Waymo oder Cruise kämpfen, die deutschen Anbietern in vielen Punkten voraus sind. Diese Unternehmen haben inzwischen beispielsweise die Erlaubnis bekommen, in Kalifornien ihre Flotten autonom zu betreiben. Allerdings kam es gleich in den ersten Tagen zu größeren Problemen wie z.B. einem Crash mit einem Feuerwehrauto. Auch die Wirtschaftlichkeit stellt eine große Herausforderung dar: Die Entwicklung der neuen Technologien kostet sehr viel Geld und ist an vielen Stellen mit großem Risiko verbunden. Die Amortisationsperspektive ist gleichzeitig relativ unsicher, weil nicht klar ist, welche Aspekte sich wann durchsetzen könnten, welche Ansätze und Unternehmen sich durchsetzen und wer welche Rolle in der Wertschöpfungskette spielen wird.
Wichtiger als die Diskussion, wann denn autonome Fahrzeuge auf unseren Straßen sein werden, scheint mir aber, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir diese Technologie einführen wollen und wofür wir dieses neue Werkzeug nutzen werden. Wie fast immer können neue Werkzeuge für gute und weniger gute Zwecke genutzt werden: Mit einem Hammer kann man einen Nagel in die Wand hauen, aber auch jemandem den Schädel einschlagen. So stellt sich bei autonomen Fahrzeugen sehr stark die Frage, ob wir sie vor allem für die Individualnutzung, also quasi als Erweiterung des eigenen Wohnzimmers, oder im Rahmen des öffentlichen Verkehrs einführen wollen. Die Forschung ist sich einig, dass im ersten Fall eine deutliche Steigerung des Verkehrsaufkommens zu erwarten wäre – mit allen negativen Folgen: Von Feinstaub- über Lärm-Belastung und Energieverbrauch bis hin zu zunehmender Zersiedelung. Als integraler Bestandteil des öffentlichen Verkehrs hingegen, können autonome Fahrzeuge einen wichtigen Beitrag für ein nachhaltigeres Verkehrssystem leisten, da sie zu einer Steigerung des Besetzungsgrads von Fahrzeugen und zur Überbrückung der letzten Meile eingesetzt werden können.
Die Fragen stellte Kirsten Kurze, Practice Director Mobility bei PIABO.