Autonomes Fahren: Der Chauffeur ist die KI und das Auto ein Rechenzentrum
Direkt vorweg: Ich gehöre ganz klar zum Team pro autonomes Fahren. Bereits 2015 durfte ich mit “Robby”, einem Audi RS 7 piloted driving concept – vollautomatisiert – in der Nähe von Barcelona unter Testbedingungen über die Rennstrecke rasen. Gefühlt ist das eine Ewigkeit her und seitdem warte ich auf den Schalter, der mir das Fahren bei Bedarf abnimmt, das Lenkrad verschwinden lässt und mein Auto in einen rollenden Wellness-Tempel verwandelt. Studien, wie so etwas aussehen kann, gibt es reichlich.
Autonomes Fahren 2023: Wo stehen wir in Deutschland?
Aber die Realität ist ernüchternd: Zwar ist autonomes Fahren in Level 3 bis 130 km/h seit Januar 2023 auf deutschen Autobahnen erlaubt, aber bisher hat nur Mercedes für ausgesuchte Modelle mit Drive Pilot die Freigabe für Level 3 (hochautomatisiertes Fahren) und Geschwindigkeiten bis 60 km/h. Ein Level weiter ist Mercedes schon beim Parken. Hier liegt die Genehmigung für vollautomatisiertes Einparken (das Fahrzeug bewältigt Fahrten völlig selbständig) nach Level 4 vor. Dies funktioniert bislang allerdings nur in einem Parkhaus am Stuttgarter Flughafen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Pilotprojekten mit fahrerlosen kleinen Shuttle-Bussen, die auf fest definierten Teststrecken in Schrittgeschwindigkeit im Einsatz sind.
Autonomes Fahren: Die spannende Reise in eine innovative Zukunft
Die Herausforderungen für autonomes Fahren reichen von technologischen und gesetzgeberischen bis hin zu ökologischen und philosophischen Themen. Dazu kommt die Skepsis in der Bevölkerung. Viele Deutsche können sich nicht vorstellen, in ein autonom fahrendes Auto einzusteigen.
Dabei liegen die Vorteile scheinbar klar auf der Hand: Weniger Unfälle, mehr Komfort und Zeitersparnis, effiziente Platznutzung, besserer Zugang für alle Menschen unabhängig von Alter oder Fahrerlaubnis und eine Möglichkeit der Reduzierung von Transportkosten. Nach vorsichtigen Schätzungen könnte immerhin ein Drittel der Unfälle reduziert werden. Andere Forschungen gehen sogar von bis zu 90 Prozent aus — allerdings erst in der finalen Phase. Unstrittig ist, dass sich die Anzahl der Unfälle durch menschliche Fehler wie Müdigkeit, Unachtsamkeit und eigenes Fehlverhalten verringern würden.
Autonome Mobilität: Effizienz, Flexibilität und die Frage nach den Emissionen
Häufig angeführt wird auch eine Optimierung der CO2-Emissionen durch effizientere Fahrweisen (z.B. durch Platooning, also Windschattenfahren) und einen optimalen Verkehrsfluss. Autonome Fahrdienste wie Robotaxis oder Roboshuttle haben ein riesiges Marktpotenzial und könnten durch “Ridepooling” (die Bündelung von Fahrten) Fahrzeuge besser auslasten und ihre Anzahl erheblich reduzieren. Außerdem können ländliche Regionen durch flexible und bedarfsgerechte On-Demand-Angebote effizienter angebunden werden.
Doch würden wir den ÖPNV überhaupt noch nutzen, wenn wir im eigenen Fahrzeug zum Beispiel zu einem Geschäftstermin fahren können? Ich könnte die Zeit im Auto zum Arbeiten nutzen und mir bei größeren Entfernungen sogar eine Hotelübernachtung sparen. Was ist mit der Parkplatzsuche in der Stadt? Statt mein Fahrzeug im Parkhaus zu parken, könnte es mich morgens zur Arbeit fahren und abends wieder abholen. Schon werden aus zwei Fahrten vier Fahrten.
Eine weitere Frage in Bezug auf Emissionen ist der wachsende Bedarf an Rechenleistung in Fahrzeugen. In einer Studie stellt das Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Rechnung auf, die autonome Fahrzeuge in den Kontext ihrer benötigten Rechenleistung und den damit erzeugten Emissionen setzt. In Zukunft könnte die Energie, die zum Betrieb der leistungsstarken Computer an Bord einer globalen Flotte autonomer Fahrzeuge benötigt wird, so viele Treibhausgasemissionen verursachen wie alle Rechenzentren der Welt heute. Dafür legten sie Berechnungen zugrunde, in denen ein autonomes Fahrzeug eine Stunde am Tag fährt und dabei rund 21 Millionen Schlussfolgerungen zieht.
Intelligentes Datenmanagement: Wie "denkt" ein autonomes Auto?
Der Blick in die Technologie zeigt, wie komplex das Thema ist. Ein selbstfahrendes Auto arbeitet mit einer Vielzahl von Sensoren und Kameras wie “Lidar”(Lichterkennungs- und Entfernungsmessung) und Radar in Echtzeit. Eine hochentwickelte künstliche Intelligenz verarbeitet all diese Informationen und sendet Anweisungen an das Fahrzeug, um die Beschleunigung, Bremsen und Lenkung zu steuern. Fest codierte Regeln, Algorithmen zur Hindernisvermeidung und Objekterkennung helfen der Software Verkehrsregeln einzuhalten und Unfälle zu vermeiden. Um die Nachhaltigkeit, Effizienz und Sicherheit zu erhöhen, sollten dabei nicht nur die eigenen Fahrzeugdaten berücksichtigt werden, sondern die aller Verkehrsteilnehmenden und auch die Daten der Verkehrsinfrastruktur. Über kooperative Verkehrssysteme und Car2X-Kommunikation entstehen aber weitere große Datenmengen.
Ethische Grundsatzfragen müssen geklärt werden
Ein großes und sehr emotionales Diskussionsthema ist das Thema Ethik. In autonomen Fahrzeugen müssen die Algorithmen in der Lage sein, mit unvorhersehbaren Situationen umzugehen und im Falle eines drohenden Unfalls die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben einen Algorithmus entwickelt, der das Risiko gerechter verteilt und nicht auf dem Entweder-oder-Prinzip beruht. Bisherige Ansätze behandelten kritische Situationen mit nur wenigen möglichen Manövern; in unklaren Fällen blieb das Fahrzeug einfach stehen. Die nun integrierte Risikobewertung führt zu mehr Lösungen bei weniger Risiko für alle.
Autonome Zukunft: Es braucht zuverlässige Lösungen
Die Einsatzgebiete automatisierter oder autonomer Fahrzeuge sind vielfältig und das Potenzial für eine bezahlbare, gerechte, nachhaltige und sichere Mobilität hoch. Doch es braucht klare rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen, Gewährleistung der Cybersicherheit und zuverlässige Lösungen. Dafür müssen einheitliche Standards definiert, die Vernetzung aller Verkehrsteilnehmer und Infrastruktur vorangetrieben, Testfelder für die Erprobung bereitgestellt und auch das Vertrauen der Bevölkerung aufgebaut werden.
In San Francisco bauen Google-Schwester Waymo und GM-Tochter Cruise ihre Testfelder für autonome Taxis gerade aus. Die California Public Utilities Commission (CPUC) hat ihre Erlaubnis auf das ganze Stadtgebiet und die Nutzung von autonomen Taxis ohne Sicherheitsfahrer rund um die Uhr ausgeweitet. Allerdings ist die Meinung sehr zweigeteilt, da die Systeme noch nicht ausgereift sind und noch eine hohe Fehleranfälligkeit haben.
Letztendlich ist die Frage aber nur wann und wie wir autonom fahren, aber nicht mehr ob wir überhaupt autonom fahren werden. Die Vorteile überwiegen. Doch es braucht ausgereifte Systeme, klare Regularien, digitale Infrastrukturen und auch ein langes Durchhaltevermögen bis wir das ganze Potenzial ausschöpfen können. Gleichzeitig muss das Vertrauen in die neuen Technologien durch sichere und nachvollziehbare Schritte sowie eine gute Kommunikation aufgebaut werden. Nur so lassen sich auch Skeptiker überzeugen.
Über die Autorin:
Kirsten Kurze leitet bei PIABO Communications die Mobility Practice. Sie verantwortet bei uns u.a. die Kunden NIU, heycar, Upway und Tronity. Neben einem umfassenden Branchenverständnis für innovative Mobilitätslösungen und zukunftsorientierte Geschäftsmodelle für vernetzte Mobilitätssysteme verfügt sie über langjährige Beratungsexpertise. Zu ihren Kernkompetenzen gehören die Entwicklung ganzheitlicher Kommunikationskonzepte, Markenpositionierungen und die Integration erfolgreicher Content-Marketing-Kampagnen.
Kirsten freut sich über eine Kontaktaufnahme und steht für Fragen zur Verfügung: kirsten.kurze@piabo.net.