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18.08.2022
Christopher Klee

Das Metaverse in der Kommunikation: Kundenbindung 3.0

Wir stehen an der Schwelle zur nächsten Evolutionsstufe des Internets: dem Web3. Zu dessen zentralen Versprechen zählt auch ein dezentrales Metaverse. Während der Begriff in Blockchain-Kreisen bereits seit Längerem die Runde macht, ist er spätestens durch das Rebranding von Facebook in „Meta“ auch im Mainstream angekommen. Doch was genau verbirgt sich hinter dem „Metaverse“ – und welchen Einfluss hat es auf die Kundenbindung?

 

Eines vorweg: Es gibt noch keine allgemeingültige Definition des “Metaverse”. Wie bei jeder neuen Technologie gibt es unterschiedliche und teils widersprüchliche Visionen davon, wie das Metaverse ausgestaltet sein soll. Diese Ansätze lassen sich grob in Corporate- und Community-basiert zusammenfassen. Anders gesagt: zentralisiert vs. dezentralisiert. Der Begriff stammt aus dem 1992 erschienen Cyberpunk-Roman “Snow Crash” von Neal Stephenson. Darin beschreibt das Metaverse die Weiterentwicklung des Internets; ein virtueller Raum, in dem Menschen mit Hilfe von Avataren miteinander interagieren. 

Fast 30 Jahre nach „Snow Crash“ umriss der Wagniskapitalgeber und Essayist Matthew Ball seine Vorstellung eines Metaverse in einem viel zitierten Essay mit dem Titel „The Metaverse: What it is, Where to Find it, and Who Will Build It.“ 

 

Laut Ball soll das Metaverse…

…dauerhaft sein – das heißt, es wird nie „zurückgesetzt“ oder „pausiert“ oder „beendet“, sondern es geht einfach unendlich weiter.

…synchron und live sein – auch wenn im Voraus geplante und in sich abgeschlossene Ereignisse stattfinden werden, wird das Metaverse eine lebendige Erfahrung sein, die durchgängig für jeden und in Echtzeit existiert.

…keine Begrenzung der Zahl der gleichzeitigen Nutzer:innen haben, während gleichzeitig alle Nutzer:innen ein individuelles Gefühl der „Präsenz“ haben – jede:r kann Teil des Metaverse sein und an einem bestimmten Ereignis, Ort oder Aktivität gemeinsam, zur gleichen Zeit und mit individueller Handlungsfähigkeit teilnehmen.

…eine voll funktionsfähige Wirtschaft sein – Einzelpersonen und Unternehmen sollen in der Lage sein, ein breites Spektrum an „Arbeit“ zu schaffen, zu besitzen, zu investieren, zu verkaufen und dafür belohnt zu werden, einen „Wert“ zu erzeugen, der von anderen anerkannt wird.

…eine Erfahrung sein, die sowohl die digitale als auch die physische Welt, private und öffentliche Netzwerke sowie offene und geschlossene Plattformen umfasst.

…eine noch nie dagewesene Interoperabilität von Daten, digitalen Gegenständen/Vermögenswerten, Inhalten usw. [...] bieten – dein Counter-Strike-Waffen-Skin könnte z. B. auch zur Verzierung einer Waffe in Fortnite verwendet oder einem:r Freund:in auf/über Facebook geschenkt werden. [...] 

… von „Inhalten“ und „Erfahrungen“ bevölkert werden, die von einer Vielzahl von Mitwirkenden geschaffen [...] werden. Von diesen können einige unabhängige Einzelpersonen sein, während andere informell organisierte Gruppen oder kommerziell ausgerichtete Unternehmen sein können.

 

Zu den prominenten Rezipienten von Balls Essay gehört unter anderem Meta-Chef Mark Zuckerberg. Dieser bezeichnete Balls Vorstellung vom Metaverse als „großartig“, hegt jedoch Zweifel an der Umsetzung der universellen Interoperabilität, die Ball fordert. 

 

Das Metaverse ist kein zweites „Second Life“

Nun könnte man argumentieren, dass mit „Second Life“ bereits vor knapp 20 Jahren eine Art Metaverse aus der Taufe gehoben wurde. Tatsächlich erfüllt die Welt von Second Life bereits einige Aspekte, die das heutige Verständnis des Metaverse ausmachen: Nutzer:innen schaffen sich virtuelle Avatare und haben die Möglichkeit, sich zu treffen und eigene Inhalte zu erstellen. Kommunikation, Handel (samt eigener Währung), Spielen und Arbeiten sind im Second Life bereits seit Jahren möglich. 

Allerdings unterstützt Second Life keine Virtual Reality – womit dem Metaverse eine zentrale Komponente, nämlich die Immersion, abhanden kommt. Darüber hinaus ist Second Life kein dezentral verwaltetes Metaverse, sondern wird seinen Erschaffern – dem Unternehmen Linden Lab – kontrolliert. Das beißt sich indes mit der Vorstellung von jenen, die das Metaverse als Killer-App für das dezentrale Web3 sehen.

Durch die technischen Weiterentwicklungen der vergangenen Dekade und die wachsende Verbreitung von VR-Headsets sind wir einem wirklich immersiven Metaverse einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Die Immersion wächst dabei nicht nur mit der Qualität der Headsets und Grafik-Engines, sondern erhält durch den Einsatz der Blockchain-Technik eine neue Dimension: Die Gewissheit, dass mein Avatar/Item/Grundstück etc. wirklich mir gehört. Hierbei spielen Non-fungible Token (NFT) eine zentrale Rolle.

 

NFT: Nur für Techniknerds?

Viele verbinden mit NFT in erster Linie überteuerte Avatare, die als pixelige Punks oder apathische Affen immer mehr Social-Media-Profile zieren. Das wird dem Potential von NFTs allerdings nicht gerecht, denn sie können weitaus mehr sein als überteuerte Statussymbole von Twitter-Nutzer:innen und Co.

Ihr bedeutendstes Attribut tragen Non-fungible Token bereits im Namen: Es handelt sich um Krypto-Token, die – im Gegensatz zu Bargeld oder „klassischen“ Kryptowährungen – nicht beliebig untereinander austauschbar sind. Sie stellen vielmehr eine Art digitales Besitzzertifikat dar, das an einen Wert gekoppelt ist. Bei diesem Wert kann es sich um ein (digitales) Kunstwerk handeln, eine digitale Sammelkarte, ein Musikstück, einen Tweet oder eine Schirmmütze für einen Avatar, mit dem man Streifzüge durch virtuelle Welten unternimmt, deren Grundstücke ebenfalls als NFT existieren – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. 

Darüber hinaus gibt es auch handfeste industrielle Use Cases für NFT. So lässt sich der Tokenstandard etwa in Lieferketten implementieren, um eine nahtlose Rückverfolgung von Waren zu ermöglichen. Ein Beispiel: Das Unternehmen Ernst & Young (EY) hat im Mai 2021 verkündet, dass die italienische Brauerei Birra Perroni künftig Bierchargen mithilfe einer Blockchain-basierten Lösung von EY als NFT rückverfolgbar macht.

Man sieht: NFT und das Metaverse bieten auch Unternehmen völlig neue Möglichkeiten – das gilt auch in Sachen Kundenbindung und User Experience.

 

Kommunikation im Metaverse: Neue Wege für die Kundenbindung

Schon zur Hochphase von Second Life hat es zahlreiche Unternehmen gegeben, die sich eine virtuelle Präsenz geschaffen haben. Der große Durchbruch ist seinerzeit jedoch ausgeblieben. Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass moderne Metaverse-Ansätze bessere Erfolgsaussichten haben. Technologische Fortschritte wie Augmented Reality (AR) lassen zunehmend die Grenzen zwischen dem physischen und dem virtuellen Raum verschwimmen. 

Neben den technischen Fortschritten gibt es eine immer größere Generation an „Digital Natives“. Darüber hinaus hat die Covid-19-Pandemie die Digitalisierung vieler Lebensbereiche weiter vorangetrieben. Von der Zoom-Konferenz zum komplett in 3D modellierten Konferenzraum (samt Teilnehmer:innen) ist es nur ein kleiner Schritt. 

Auch wenn „das“ Metaverse noch am Anfang steht, ist es beachtlich, mit welchem Elan zahlreiche Unternehmen bereits heute auf den Zug aufgesprungen sind. Alleine im Blockchain-basierten Metaverse The Sandbox tummeln sich bereits Weltmarken wie Gucci, PwC, Warner Music oder Square Enix. Sie alle haben virtuelle Grundstücke im Sandbox-Metaverse erworben und sind nun dabei, neue Möglichkeiten für die Interaktion mit Kunden auszuloten. So hat beispielsweise Adidas im vergangenen Jahr eine NFT-Kollektion lanciert, die den Käufer:innen nicht nur einen virtuellen Avatar, sondern auch Ansprüche auf „echte“ Artikel bescherte. Auch künftig sollen NFT-Holder:innen von exklusiven Angeboten profitieren.

Durch die Zusammenarbeit mit Kreativ- und Entwicklerteams aus dem Metaverse können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Botschaften die größtmögliche Wirkung erzeugen. So mischt auch Adidas-Konkurrent Nike im Metaverse mit. Im Dezember hat das Unternehmen den Kauf der NFT-Schmiede RTFKT (sprich: „Artifact“) bekannt gegeben. Damit verbunden war der Launch einer digitalen Sneaker-Kollektion, mit dem Avatare auf stylischen Sohlen durch das Metaverse schleichen können. Die Kooperation bietet gleichzeitig ein Beispiel für virtuelles Product Placement – ein neues Tool aus dem Werkzeugkasten der Kundenbindung, den das Metaverse mit sich bringt. 

Sowohl Adidas als auch Nike wollen es laut eigenem Bekunden nicht bei einmaligen Aktionen belassen. Die beiden Unternehmen planen, das Metaverse langfristig für die Kundenbindung zu nutzen, in dem sie eigene Ökosysteme aufbauen, die den Spagat zwischen Meatspace und Cyberspace wagen.

 

Auch Start-ups profitieren vom Metaverse

Freilich bietet der Metaverse-Space auch einen fruchtbaren Boden für innovative Start-ups. Das Berliner Unternehmen NeXR baut beispielsweise Brücken zwischen der physischen und der virtuellen Welt. Das Start-up hat unter anderem einen Körperscanner für den Einzelhandel entwickelt, mit dem sich Kund:innen einen realitätsnahen Avatar erschaffen können. Dieser Avatar kann sodann für virtuelle Anproben verwendet werden. Darüber hinaus bietet NeXR durch die Kombination aus Motion-Capturing und Greenscreen eine Lösung für virtuelle Events an, wie sie Metaverse gang und gäbe sein werden.

Doch im Metaverse geht es um mehr, als nur passiv einer digitalen Konferenz oder einem Konzert beizuwohnen. Es geht darum, Erlebnisse zu schaffen, die in der analogen Welt nicht möglich wären. Denkbar wären beispielsweise virtuelle Hausbegehungen am anderen Ende der Welt, exklusive Kunden-Events, die nur Besitzer:innen eines NFT zugänglich sind oder virtuelle Showrooms, in denen Kund:innen Produkte betrachten und sich miteinander austauschen können. Mithilfe von Gamification-Elementen lässt sich die Kundenbindung weiter erhöhen: „Du hast mit deinem NFT-Sneaker in der Hosentasche deine 10.000 Schritte geschafft? Prima, hier ein Gutschein für den nächsten Offline-Schuhkauf!“ könnte es dann lauten.

Ein weiterer – häufig wenig beachteter – Aspekt des Metaverse ist dessen inklusives Potenzial. Es kann zum Beispiel bewegungseingeschränkten Menschen neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe eröffnen und Unternehmen neue Kundengruppen erschließen. 

 

Ausblick

Das Metaverse steckt noch in den Kinderschuhen. Doch vieles deutet bereits heute darauf hin, dass es gekommen ist, um zu bleiben. Welche Form es in der Zukunft annehmen wird, ist offen – und wird nicht zuletzt von den Nutzer:innen selbst entschieden. Einerseits ist davon auszugehen, dass Meta aufgrund seiner enormen Nutzer:innen-Basis zu einem der größten Player im Metaverse wird. Zu den Massen an Nutzer:innen-Daten, über die der Konzern bereits verfügen kann, gesellen sich dann noch Bewegungs- und Eye-Tracking-Daten

Demgegenüber stehen dezentralisierte Web3-Projekte, in denen sich heute bereits einige mutige Unternehmen bewegen. Im Idealfall erhalten wir am Ende eine Vielzahl an unterschiedlichen Metaversen, die interoperabel sind. Unternehmen sollten sich entsprechend breit aufstellen und sich nicht verfrüht auf eine einzelne Lösung fokussieren.

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