Wie Direct Brands etablierten Marken die Show stehlen ... und das Wachstum auch (Teil 2)
Stellen wir uns mal vor, wir wären Manager eines führenden deutschen Autobauers und müssten uns täglich fragen lassen, warum wir nicht so „fresh“ und nicht so “digital” sind wie Tesla. Wir würden wahrscheinlich irgendwann die Geduld verlieren und darauf verweisen, dass wir ein gewachsenes Unternehmen und eine Traditionsmarke sind und uns nicht so schnell verändern können. Neue Mobilität und Digitalisierung brauchen ja hierzulande durchaus etwas Zeit ...
Nur ist dem Konsumenten von heute ziemlich egal, woher die innovativen Ideen stammen und deswegen kauft er sich ein Model Y und fährt in die Zukunft. Denn die D2C Vertriebsstrategie von Tesla, die einen personalisierten und direkten Online-Vertrieb vorsieht, erreicht den Endkonsumenten mit innovativen Produkten sowohl digital, als auch über Showrooms in den Städten.
Nun ist Tesla nicht der einzige Player, der auf diesem Wege mit seinen Kunden in Kontakt tritt, auch andere Automobilmarken wie Polestar oder zukünftig Fisker, Lucid oder oder Sono Motors nutzen direkte Vertriebsmodelle. Immer mehr und meist recht unbekannte Direct-Brands wecken das Interesse von Konsumenten. Es scheint, als würden ihn die Marken ganz intuitiv über seine präferierten Kommunikationskanäle erreichen und mit innovativen, aber vor allem auch sinnstiftenden und nachhaltigen Produkten überzeugen. Und hierbei ist Bandbreite enorm – mittlerweile sind auf dem Portal www.direct-brands.de mehr als 60 Branchen registriert und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.
Fokussierte Innovation statt komplexer Transformation
Direct-Brands starten digital-native und direct-to-consumer, deswegen müssen sie sich im Gegensatz zu etablierten Marken nicht transformieren. Sie sind eine neue Spezies von Herstellern, die neben der starken Personalisierung auch radikal den Vorteil der Fokussierung nutzt: Sie konzentrieren sich in der Regel auf eine Warengruppe oder sogar nur ein einziges Produkt (z.B. die Geldbörse von iClip, der Mähroboter von Toadi oder der digitale Rosenkranz eRosary). Gleichzeitig bauen sie effiziente, direkte Vertriebswege über ihre eigenen Shops, Marktplätze oder Social Commerce auf und aus. Oder sie kombinieren die digitale Welt mit innovativen New Retail Formaten. Das Wichtigste ist aber: Sie gehen ihren Weg ohne Umwege und ohne Branchenrestriktionen (u.a. Saisonstarts bei Sportarten, Kollektionswechsel in der Textilbranche, Leitmessen bei Consumer Electronics) unterworfen zu sein.
Direct-Brands bringen Disruption und verändern ihre Branchen
Eine Direct-Brand kann durchaus Vorteile daraus ziehen, wenn sie gezielt antizyklisch agiert oder einfach permanent Innovationen auf den Markt bringt (zum Beispiel bei Kosmetikprodukten). Oder neue Produkte immer nur dann bringt, wenn die letzte Edition ausverkauft ist (zum Beispiel bei Uhren). Oder Innovationen bereits weit vor dem Verkaufsstart über Crowdfunding-Plattformen eingeführt werden.
Gerade im Mittelstand hört man dann oft, diese Marken wären Regelbrecher, würden rein egoistisch handeln und damit ganze Branchen ruinieren. Was in der Diskussion gerne übersehen wird, sind die Chancen, die auch der Mittelstand mit seinen Ressourcen hätte - in vielen Fällen wird es aber notwendig sein, neue Marken zu gründen, statt sich mit den alten Marken weiter zu verzetteln.
Sollte sich der aktuelle Trend fortsetzen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir in Zukunft deutlich weniger traditionelle Marken mit großen Sortimenten sehen, aber viele neue D2C Marken mit kleinen Sortimenten. Die einzelne D2C Marke ist dabei übrigens meist nicht entscheidend für die Veränderungen bei Marktanteilen innerhalb eines Branchensegments, es ist die Summe aller neuen Marken.
Ein neuer Typ von digitalen Marken
Beeindruckend ist die Geschwindigkeit mit der heute neue Marken im digitalen Raum entstehen und wie schnell sie etablierten Unternehmen Marktanteile streitig machen. Diese Marken werden zuerst meist nicht als relevante Wettbewerber erfasst werden, sondern fallen oftmals als “Start-up” durch das Raster. Man ist sich auch oftmals nicht sicher, welche Definition denn die richtige ist: Sind es Marken, die rein D2C vertreiben oder kooperieren sie doch auf innovative Art und Weise mit dem Handel? Und was ist Dropshipping? Tatsache ist, dass diese Marken anders konzipiert werden und auch anders funktionieren als bisherige Marken. Eine D2C Marke verkauft ein eher kleines Sortiment zielgerichtet und direkt und ist damit höchst erfolgreich. Verlieren die Marken- und Marketingregeln der Vergangenheit nun ihre Gültigkeit?
Hierauf ist die Antwort ein klares „jein“. Denn natürlich haben die altbekannten Mechaniken in den Konsumgüterbranchen weiterhin ihre Berechtigung und auch Omnichannel etabliert sich - wenngleich meist anders als geplant. Aber seit Targeting und Social Commerce möglich ist, funktioniert nun auch ein ganz anderer Ansatz - nämlich eine Marke zielgerichtet und fast ohne Streuverluste an den potentiellen Kunden zu kommunizieren. Und idealerweise auch sofort die wichtigste Conversion - sprich den Kauf - zu realisieren.
Im Hintergrund wirkt ein sich selbst verstärkender Mechanismus
Fassen wir die Entwicklungen zusammen: In fast allen Branchen wird es zur Ausbreitung neuer Marken kommen, vielfach fokussiert auf eine einzige Warengruppe. Diese Marken nutzen den sich ändernden Zeitgeist rund um Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit und Authentizität. Sie sind agil, beherrschen digital und haben keine Reibungsverluste durch Transformation. Ihre Marketing-Ansätze sind extrem fokussiert und die Wirksamkeit durchgängig messbar. Die gewählte Infrastruktur beruht auf modularen Baukästen, funktionierenden Blueprints und SaaS Diensten.
Essentiell ist dann ein sich selbst verstärkender Mechanismus: Der Konsument wird nach dem ersten Kontakt bzw. Kauf automatisch weitere Direct-Brands finden, die dem identischen Prinzip folgen. Der Grund liegt in den Mechanismen der sozialen Plattformen. Wenn man als Marketingverantwortlicher weiss, wer gerne Direct-Brands kauft, dann kann man diese Konsumenten - kombiniert mit anderen Kriterien – über das Targeting sehr einfach erreichen.
Wie etablierte Hersteller reagieren
Die Entwicklungen werden in einigen Branchen (z.B. Kosmetik/Körperpflege) natürlich bereits wahrgenommen. Immer öfter stellt sich daher die Frage für etablierte Hersteller: Eröffne ich für meine traditionelle(n) Marke(n) zusätzliche D2C Vertriebswege, mit hoher Komplexität und einem nicht zu unterschätzenden Konfliktpotential? Oder baue ich lieber neue D2C Marken auf, die zudem den Zeitgeist der digital affinen Zielgruppen entsprechen?
Hier kommt es nun aber – zumindest hat es den Anschein – zu einem gravierenden Problem. Kann ein etablierter Hersteller, dessen Strategie über Jahrzehnte hinweg von starken Marken, großen Sortimenten, mehrstufigen Vertriebskonzepten und Zielgruppendenke geprägt war, plötzlich umschalten? Wie wird aus einem wachtumsorientierten Global Player ein nachhaltiger Local Player? Wie passt die bisherige Unternehmenskultur zu einem Start-up Approach? Kann sich die IT nach SAP oder Salesforce plötzlich mit Shopify oder WooCommerce arrangieren? Viele Fragen, die vielleicht auch erklären, warum P&G, Unilever, Henkel und Beiersdorf derzeit lieber neue Marken kaufen als diese selbst zu entwickeln.
Direct-Brands und stationärer Handel - eine interessante Kombination
Überraschend ist, dass einige Marken - nach einem erfolgreichen Start im Web - mittlerweile auch im stationären Handel zu finden sind. Dort agieren sie aus einer Position der Stärke, denn der Handel braucht sie, um junge Zielgruppen zu erreichen, um Impulse im Sortiment zu setzen oder den Eigenmarken auf die Sprünge zu helfen. Man darf sich aber durch Kooperationen wie Peloton und Breuninger nicht täuschen lassen - viele Fachhändler sind mit Recht äußerst skeptisch, wen sie sich da auf die Fläche holen, gerade wenn es um Influencer- und Celebrity Brands geht, die morgen vielleicht schon nicht mehr angesagt sind.
Kürzlich war zu lesen, dass ein renommierter Sportfachhändler 2-3% des Einkaufsvolumens für junge und frische D2C Brands reserviert, „weil diese Marken sich bereits online eine treue Kundschaft aufgebaut haben“. Früher ein K.O. Kriterium für die Listung, ist es heute ein Indiz dafür, dass man vieles neu denken muss. Spannende Zeiten.
Über den Autor Stefan Hövel
Stefan hat in den letzten 20 Jahren mehrere internationale Unternehmen bei der Entwicklung digitaler Strategien, Innovationen und Ecosysteme begleitet. Darüber hinaus war er als Geschäftsführer, Manager und Berater an der digitalen Transformation von Direktvertriebsunternehmen, dem Aufbau von Direct-Brands und den D2C Strategien von Herstellern beteiligt. Als Gründer hat er zudem mehrere Start-ups und NGOs begleitet. Seine Überzeugung ist es, dass Direct-Brands nicht nur das Markenspektrum bereichern, sondern auch vollkommen neue Märkte und Geschäftsmodelle schaffen werden.
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