Generation KI – Wie Künstliche Intelligenz unser Denken verändert
Die gängige Erzählung über eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz ist die Erzählung einer Entmenschlichung. Von Maschinen im Angriff auf unsere ethischen Vorstellungen, moralischen Grundlagen und finanzielles Auskommen. Aber es gibt einen andere Sichtweise auf die Zukunft. Gedanken von Robert Thielicke.
Der Blick zurück, der Blick nach vorne
Auf Basis unserer Kenntnisse über die menschliche Psychologie und den historischen Reaktionen auf umstürzende technologische Entwicklungen ist diese Sichtweise sogar deutlich wahrscheinlicher: Wir stehen nicht vor einem Maschinenzeitalter, sondern vor einem menschlichen Zeitalter. KI wird uns nicht zu Automaten machen, sondern zu humaneren Wesen. Der Grund liegt im Wesen des Menschen. Seit Jahrtausenden sieht er sich als Höhepunkt der Schöpfung, als ein ganz besonderes unter den Millionen verschiedenen Lebewesen auf der Erde. Die christliche Religion gab diesem Gefühl einen Namen: Die Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Psychologen nennen es Selbstwirksamkeit: Das Bedürfnis, Einfluss auf sein Leben zu nehmen, die tief verwurzelte Abneigung dagegen, eine Marionette zu sein.
Macht, Freiheit und Empathie – auch mit KI
Dieses Bedürfnis hat ihn Werkzeuge erfinden, Kleidung nähen, Häuser bauen, sich dem Ackerbau zuwenden, das Zeitalter der Aufklärung begründen und die Idee der Demokratie entwickeln lassen: Alles mit dem Ziel, die Macht zu bekommen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Statt willenlos den Naturgewalten ausgesetzt zu sein eroberte er sich so Schritt für Schritt die Freiheit, selbst über den nächsten Schritt entscheiden zu können. Dieses Bedürfnis wird Künstliche Intelligenz nicht töten. Es wird ihm eine neue Richtung geben.
Seit der Aufklärung ist der Mensch stolz auf seine rationale, analytische Denkweise – auf das, was lange als die “besondere menschliche Intelligenz” galt. Wenn Künstliche Intelligenz ihn nun von diesem Thron stößt, wenn kognitive Leistung zur Commodity wird – die Entwicklung dorthin hat bereits begonnen – wird er sich einen Bereich suchen, der ihn weiterhin einzigartig sein lässt. Und das wird in einer Domäne sein, die KI per Definition nie erobern wird: menschlich zu sein. Empathie wird wichtiger als Effizienz, Freiheit wichtiger als bloßes Funktionieren, das Humankapital wird wieder zum Menschen.
Deine Aufgaben, meine Aufgaben
Eine Medizin-KI kann Millionen Datensätze auswerten und eine bessere Krebstherapie finden als alle Ärzt:innen, aber sie wird den Patient:innen nie mit der ethischen Überlegung helfen können, ob sich der Kampf noch lohnt.
Intelligente Computer können Kindern mehr Wissensfragen beantworten als jede:r Lehrer:in – aber sie können keine pädagogischen Konzepte entwickeln oder umsetzen.
Ein Algorithmus, der Stellenbewerbungen auswählt, wird vielleicht die theoretisch besten Kandidat:innen aussuchen – aber ob diese Person ins Team passt, wird der Algorithmus nie wissen.
Eine KI kann Verbrennungsmotoren optimieren – aber ob wir sie überhaupt bauen sollten, kann sie nicht entscheiden.
KIs können an den Aktienmärkten nahezu alleine Geld verdienen – aber einen Sinn werden sie diesem Geld nie geben können.
Die Stunde der Menschlichkeit
Während Künstliche Intelligenz das Rationale und Analytische übernimmt, kann nur ein Mensch wissen, was anderen Menschen wichtig ist. Wenn also KIs uns geistig überlegen sind, schlägt für uns die Stunde der Menschlichkeit. Das wird unser Denken verändern – und damit auch den Lauf der Welt. Wie das konkret aussieht, lässt sich gut an Karrieren von Lehrer:innen verdeutlichen. Gymnasiallehrer:innen verdienen heute noch etwa 4500 Euro monatlich, Grundschullehrer:innen 3900 Euro und Erzieher:innen im Bundesschnitt 3300 Euro. In Zukunft aber kehren sich die Verhältnisse um. Das Faktenwissen der Gymnasiallehrer:innen verliert an Bedeutung, Grundschullehrer:innen und Erzieher:innen gewinnen, weil sie mehr über die menschliche Entwicklung wissen und darüber, wie Kinder am besten lernen. Pädagogisches Talent schlägt IQ, Führung wird weniger eine Frage der Kompetenz sein als eine der Empathie. In der Schule werden Philosophie und Psychologie genauso wichtig wie Mathematik und Physik, Soziologie ebenso entscheidend wie Biologie.
„Denken wie ein Computer“ war lange das große Ziel menschlicher Leistung. „Denke wie ein Mensch“ wird das Motto der Generation KI.